G070

Wolfgang Sawodny, Die Viola, Mitgliederzeitschrift der Deutschen Viola-Gesellschaft e.V., Juli 2006:

Johann Gottlieb Graun
Konzert für Violine, Viola und Orchester,
Edition Güntersberg G070, Klavierauszug, Partitur und Stimmen (2005)

von Prof. Dr. Wolfgang Sawodny

Die Edition Güntersberg widmet sich eigentlich der Neuherausgabe von Gamben-Literatur. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts trat aber die Bratsche zunehmend an die Stelle der Viola da Gamba, und aus dieser Zeit ist eine ganze Reihe von Werken überliefert, für die alternativ sowohl das eine wie das andere Instrument Verwendung finden kann. Manchmal gibt es hierfür sogar nur eine einzige Stimme, manchmal - und das trifft auf eine Reihe von Werken von Johann Gottlieb Graun zu - sind es aber auch zwei verschiedene, die instrumentenspezifische Besonderheiten berücksichtigen.

Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass die Edition Güntersberg - wie schon vorher bei einer Sonate in F-Dur für Gambe/Viola und konzertierendes Cembalo (Verlags-Nr. G057) - das Doppelkonzert c-moll Grauns neben der Fassung für Gambe auch in der mit Viola neu herausgegeben hat. Die Viola-Version war 1957 schon einmal von Kurt Janetzky bei Breitkopf & Härtel ediert worden. Sie fußte - so wie auch die vorliegende Ausgabe - auf der in der sogenannten Amalienbibliothek (im Bestand der Deutschen Staatsbibliothek Berlin) befindlichen Abschrift als "Concerto a Violino Concerto, Viola Concerto, Violino Primo, Violino Secondo, Viola e Basso". Hingegen war bisher von der Gamben-Fassung nur die [Abschrift] in der Hessischen Landes- und Hochschul-Bibliothek Darmstadt bekannt, in der die Solostimme der Violine fehlt. Kürzlich wurde aber der Bestand der ehemaligen Singakademie Berlin aus Kiew an die Berliner Staatsbibliothek zurück gegeben, in dem sich eine vollständige Abschrift befindet, sogar mit später von Carl Friedrich Zelter dazu verfassten Hornstimmen. Diese wurde der Neu-Ausgabe der Gamben-Fassung zugrunde gelegt; sie dient aber auch dazu, einen offensichtlichen Schreibfehler in den Orchester-Violinstimmen im 3. Satz Takte 413-429 im Exemplar der Amalienbibliothek auszumerzen.

Insgesamt ist es hoch erfreulich, dass dieses Doppelkonzert, das übrigens für seine Zeit eine außergewöhnliche Länge besitzt (langsamer Satz 91 Takte, Schlusssatz 464 Takte!), in einer editorisch wie drucktechnisch einwandfreien Ausgabe wieder zugänglich ist, steht doch die Viola im technischen Anspruch keineswegs hinter der Violine zurück. Zwar geht sie nur selten über das e'' hinaus (und dann nur bis g''), dafür ist sie aber reichlicher als die Violine mit Doppelgriffen bedacht und kann sich in ausgedehntem Figurenwerk ergehen. Da die zugefügten Hornstimmen natürlich ohne Substanzverlust weggelassen werden können, eröffnet es die Möglichkeit, dass Geiger und Bratschist gemeinsam auch mit einem reinen Streichorchester (mit Continuo) auftreten können, während ja die üblichen konzertanten Sinfonien (Mozart, Stamitz u.a.) immer auch den Zutritt von Bläsern erfordern.

Es wäre gewiss sehr reizvoll und lohnend, anhand der Graunschen Werke - neben dem Doppelkonzert und der oben genannten Sonate gibt es noch ein Quintett für konzertierendes Cembalo, Solo-Gambe oder - Viola (verschiedene Stimmen!), zwei Violinen (bzw. Flöte und Oboe) und Bass - die Unterschiede in der Gestaltung der Gambenstimme einerseits und des Viola-Parts andererseits insbesondere im Hinblick auf den Ambitus und die technischen Erfordernisse zu untersuchen.