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Für Flöte oder Gambenzwerg [- Neues bei Güntersberg]

Louis de Caix D'Hervelois: Suite A-Dur op. 6,1 für Traversflöte oder Pardessus de Viole und Basso continuo. Herausgegeben von Donald Beecher, Generalbassaussetzung von Thomas Annand...

Reicht bedacht sind die Spieler der "Flûte traversière" mit Neuausgaben für ihr Instrument - ihnen wird die vorliegende Ausgabe eine angenehme Bereicherung bedeuten. Vielmehr noch freut sich der Gambist mit Neigung zum Spiel des Pardessus de Viole, für den bisher im Vergleich zur Literatur für die "Bass de Viole" wenig erschienen ist. Verständlich, denn klein ist die Zahl derer, die sich mit diesem Zwerg der Gambenfamilie befassen und entsprechend klein auch der Markt für Literatur dafür.

In dieser eleganten Musik lässt der zu seiner Zeit hochgeschätzte Komponist die Vorzüge seines Schaffens glänzen: nur einige davon sind der melodische Einfallsreichtum, die Fantasie anregenden programmatischen Titel und die tonale Abwechslung innerhalb der Suite (hier die Mollvariante im zweiten Menuet). Während andere Zeitgenossen als alternative Besetzung u. a. Oboe, Violine, Blockflöte, Drehleier oder andere (T. Marc, M. Corette) für ihre Pieçes angeben, beschränkt sich Caix nur auf Travesflöte und Pardessus de viole, eine Besetzungsalternative, die noch häufig in der französischen Musik des 18. Jahrhunderts anzutreffen ist, vor allem bei den damals beliebten Duetten "...à deux Flûte traversières or Pardessus de viole" (Roget, Dollé, Merchi, u. a.).

Louis de Caix d'Hervelois hat sich auf die Mode der Pariser Damen, statt der unstandesgemäßen Violine das Pardessusspiel zu bevorzugen, eingestellt und in seinem 6. Buch der "Pièces de Viole" (1751) Eigenbearbeitungen von Bassgambenstücken der anderen Bücher zusammengefasst. Akkordwerk und Doppelgriffspiel wird bei diesen Übertragungen stark reduziert, die "kunstvolle Melodieführung ist der besondere Charakter" der Gambenzwerge Dessus und Pardessus (J. Rousseau). Die Übertragung für Flöte liegt nahe!

Mit der Applikatur des Pardessus ist Caix gut vertraut. Die beliebte, gut zu greifende Tonart G-Dur ist im vorliegenden Werk nicht anzutreffen - erstaunlich, wie gut auch die A-Dur-Stücke "in der Hand" liegen!. Der Tonumfang liegt relativ hoch: Hier glänzt der Flötenklang, aber auch der Pardessus de viole vermag in diesem register "à flatter", zu schmeicheln, wie man ihm nachsagt (Rousseau). Selbst das dreigestrichene e ist über dem letzten Bund sicher zu greifen. Die Frage, ob der Komponist an den sechsaitigen (gestimmt g-c'-e'-a'-d''-g'') oder den fünfsaitigen Pardessus (seit ca. 1740, gestimmt g-d'-a'-d''-g'') gedacht hat, erübrigt sich durch die hohe Lage: Der Ton d' wird nirgends unterschritten, sodass die Stimmungsunterschiede der tiefen Saiten die Ausführung nicht beeinträchtigen.

Die Edition erfolgte in der bei diesem Verlag gewohnten noblen Qualität: Ansprechende Titelseite, sauberer Druck, groß und gut leserlich die Taktzahlen und B.c.-Ziffern, gute Raumeinteilung innerhalb des Taktes seinen genannt. Eine Glücksstunde war es sicher, dass Mr. Donald Beecher (Gründer und ehem. Leiter des Dovehouse-Verlages) für die Herausgabe gewonnen wurde. Sein brillantes Vorwort zu lesen ist eine wahre Freude! - Bei der Übersetzung aus dem Englischen bekam die kleine Gambe weibliche Züge ("die" Pardessus). Ich hörte auf deutsch bisher nur "der" Pardessus sagen, plausibel, wenn man an die Geburtssprache dieses Begriffes denkt: Caix schreibt über sein 6. Buch "...pour un Pardessus de Viole" - also Maskulinum. Die Aussetzung des Generalbasses zeigt leider einige Schwachstellen. Bei Stichproben fand ich unnötige Oktavparallelen (z. B. im Prelude T. 12-13), verdoppelte Septimen (z. B. Prelude T. 33-34), ergänzte, aber nicht bezeichnete Septimen (La Badine, T. 29). In La Badine empfiehlt sich bei wiederholter Stelle (T. 30-33 entsprechend 3-6), die fehlende Bezifferung zu ergänzen.

Bleibt nur noch, auch dieser Ausgabe einen guten Zuspruch bei den Flöten- und Pardessus-Enthusiasten zu wünschen. Diese fantasievolle Musik wird aber auch viele Spieler anderer Melodieinstrumente erfreuen!

Hans-Peter Linde,
Viola da Gamba Mitteilungen Nr. 64 - Dezember 2006