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Wolfgang Amadeus Mozart, Requiem, zeitgenössische Bearbeitung für Streichquartett von Peter Lichtenthal...

"Glaube mir, es ist vergebene Mühe, in Italien höhere Musik zu schreiben: die Zuschauer schlafen dabey ein", sagte einer, der es wissen musste: Rossini. Nach dem Jahrhundert der Instrumentalmusik bevorzugte man im Land, wo nicht nur Zitronen blühen, ab 1800 vor allem Opern. Sinfonische oder anspruchsvolle Kammer- oder Kirchenmusik von nördlich der Alpen - Haydn, Mozart, Beethoven zum Beispiel - nahm man in bella Italia kaum mehr zur Kenntnis. Allein in akademischen Zirkeln, unter "Dilettanten", interessiert man sich noch für solche Werke, und findige Leute fertigten vor allem für diese privaten Zirkel Bearbeitungen an: Sinfonien für Klavier vierhändig, Bearbeitungen von Klavierkonzerten, Auszüge aus Opern für Kammerensemble oder auch Mozarts Requiem für Streichquartett. Mozart war außer als Schöpfer einiger Opern ein weitgehend unbekannter Komponist im Italien des frühen 19. Jahrhunderts.

Peter Lichtenthal (1780-1853), in Pressburg (Bratislava) geboren, Mediziner, Schriftsteller und Komponist, arbeitete ab 1810 in Mailand, schrieb über viele Jahre Musikberichte seiner neuen Heimat für die Leipziger Allgemeine musikalische Zeitung und die erste Musikenzyklopädie in italienischer Sprache (1826). Er setzte sich besonders für die Musik der deutsch-österreichischen Klassiker ein, indem er ihre Werke für Kenner und Liebhaber bearbeitete.

Im Heidelberger Verlag Güntersberg ist nun in Erstausgabe Lichtenthals Streichquartett-Bearbeitung des mozartschen Requiems erschienen, die seinerzeit ungedruckt geblieben war. Sie hält sich an die Erstausgabe des Requiems bei Breitkopf & Härtel aus dem Jahr 1800, für die Franz Xaver Süßmayr die Ergänzungen zum Mozart-Fragment komponiert hatte - mit allen heute bekannten Unzulänglichkeiten dieser Vervollständigung. Dennoch hat Lichtenthals Einrichtung ihren eigenen, ganz intimen Reiz: Soli, Chor- und Orchesterstimmen reduzierte er meist auf ein harmonisch-kontrapunktisches Extrakt, das in besonderem Maße nun eine differenzierte Farbgebung der Interpreten herausfordert. Denn heute, da das Werk zu den meistgespielten der Kirchenmusik gehört, kann ein jeder die Partitur quasi mitsingen. Das war damals nicht so.

So muss sich der kluge Musiker unserer Zeit am hier nicht mehr vorhandenen, aber bekannten Text des Originalwerks orientieren: Im "Dies irae" zum Beispiel empfiehlt sich das besonders, denn Lichtenthal ignoriert hier Chor- und Bläsersatz vollständig und konzentriert sich ausschließlich auf die rasenden Streicherstimmen. Dadurch entgehen freilich entscheidende artikulatorische Details, auf die er im Notentext auch nicht hinweist: die Bindungen im Bass bei Takt 41 etwa, die sich im Folgenden nachhaltig auswirken, oder für das Ganze bedeutsame Akzente (T. 48, 50). Anders und besser handhabt Lichtenthal die unterschiedlichen Stimmen des "Rex tremendae". Allerdings verlieren hier auch die überirdischen "Salva me"-Einwürfe der Frauenstimmen deutlich an Wirkung: Etwas weniger beflissene Kontrapunktik wäre hier vielleicht mehr gewesen und sollte beim gemeinsamen Quartettspiel vielleicht entsprechend reduziert werden.

Vor diesem Hintergrund bietet diese Erstausgabe dennoch viele Möglichkeiten für Quartettbesetzungen und zeigt ein Juwel klassischer Kirchenmusik von einer ganz anderen, quasi häuslichen Seite.

Matthias Roth,
Das Orchester, Dezember 2006