G062, G063, G501

Thomas Fritzsch, Viola da gamba Mitteilungen Nr. 59 (09.2005):

Als Lord Kelly an einem Abend mit dem unvergleichlichen Violdigambisten Herrn Abel, der sich itzo zu Paris aufhält, außerhalb London spatziren gieng, und vor einer Taverne vorbeykam, wo Musik war, und just ein Concert von Abeln gespielet ward, so wollte der Lord gerne wissen, wer dieser herzhafte Tavernen-Vituose wäre. "Wer wird es denn anders seyn", versetzte Abel, "als der unseelige Cain?" [Friedrich Wilhelm Marpurg, Legende einiger Musikheiligen, Cölln am Rhein, 1786]

Hand aufs Herz, wieviele der reichlich 230 nachweisbaren Kompositionen Carl Friedrich Abels haben Sie selbst musiziert oder klingend erlebt? Abel als Sinfoniker - Ulk oder unerschlossenes musikalisches Terrain? Es ist ein Anachronismus, dass über den Gambisten Abel, der sowohl in stilistischer als auch in geographischer Hinsicht zum Bindeglied wurde, noch manche biographischen Einzelheiten im Bewusstsein musikalisch interessierter lebendig sind, sein Musik hingegen überwiegend ungespielt bleibt. Es scheint so, dass Abel - versehen mit dem Etikett des letzten großen Gambisten - erkannt und musikgeschichtlich einsortiert ist. Ein Zerrbild, das Abels musikalische Größe ungewollt um den schöpferischen Anteil schmälert und obendrein eine nachfolgende Generation von Gambisten (und zugleich Violoncellisten) unterschlägt, deren letzter Vertreter Franz Xaver Hammer erst 3 Jahrzehnte nach Abel starb. Zu diesem Zeitpunkt war Felix Mendelssohn bereits ein achtundeinhalbjähriger Bub.

Selbst die Überlieferung der 6 generalbassbegleiteten Gambensonaten (seit 1942 in zwei Editionen der Hortus Musicus-Reihe von Bärenreiter vorliegend) ist ein klarer Fall von Unterschlagung: Six / Easy Sonattas / for the Harpsichord / or for / a Viola da gamba / Violin or German Flute / with a / Thorough-Bass Accompaniment. Die Faksimile-Edition von Güntersberg nach dem Kupferstich von J. J. Hummel, Amsterdam 1771, bietet nicht nur eine schöne Vorlage zum Musizieren, sondern auch das Titelblatt, und die graphische Anordnung und Hervorhebung der vorgeschlagenen Besetzungsvarianten zeigt, dass Hummel die 6 Kompositionen Abels zunächst als Claviersonaten und erst alternativ dazu als generalbassbegleitete Gambensonaten verkauft, zur Abschöpfung weiterer Käuferschichten auch (schon kleiner gestochen) für Violine und Flöte empfohlen. Nur Verkaufsstrategie Hummels?

Leider hat Güntersberg den Titel ebenso verkürzt wiedergegeben (für Viola da Gamba und Basso continuo oder andere Instrumente). Verständlich für einen Verlag, der Gambenmusik vertreibt, aber zugleich Festschreibung einer unbegründet engen Sichtweise. Dies bleibt mein einziger Einwand. Die Neuausgaben in zwei Heften zu je drei Sonaten sind gut und sorgfältig erstellt. Den Partituren mit ausgesetztem Generalbass liegen zwei im Doppelsystem notierte Stimmenhefte bei (Oberstimme wahlweise im originalen Violinschlüssel oder im Altschlüssel), die auch die Bezifferung der Basslinie enthalten. Gegenüber der alten Bärenreiter-Ausgabe ist es ein großer Gewinn, dass die Appogiaturen ein reichhaltigeres Bild bieten, als die Ungenauigkeiten und "Verbesserungen" von Waldemar Woehl ahnen ließen. Selbstverständlich rate ich Ihnen zum Kauf und zum Musizieren der Sonaten. Hoffentlich wecken sie Ihre Neugier auf viele ungespielte Abel-Werke!